Von Psychologen und erwachsen werden

Ich stecke momentan mitten in meiner Ausbildung zur Berufsbildnerin. Das heisst, nach Abschluss dieser Ausbildung darf ich Lernende ausbilden. Zu dieser Ausbildung gehörten zwei Tage in denen ein Psychologe unser Dozent war.

Dieser Psychologe ist ein sympathischer Typ, der sich in seiner Tätigkeit als Psychologe auf Neurologie spezialisiert hat. Zudem ist er Coach für Firmen, die ihn engagieren für ihre Mitarbeiter in Sachen Kommunikation und Auftreten coachen zu lassen.

Dann ist er noch Primarlehrer (Sportlehrer), Vater und eigentlich alles. Also in den zwei Tagen machte es wirklich den Eindruck als hätte er schon alles gesehen und alles mal gemacht. Mit lustigen Anekdoten zu JEDEM Thema begeisterte er die Klasse aus 24 Erwachsenen. Es war wirklich sehr spannend und unterhaltsam, wobei ich mich zwischendurch echt fragte, ob er das alles wirklich selber so erlebt hat.

Zwischendurch zeigte er uns anhand von Experimenten an uns selbst, wie man die Wahrnehmung beeinflussen kann.

Manchmal fragte ich mich wirklich, ob ich ganz normal bin. Irgendwie spreche ich auf diese Experimente gar nicht an. Wahrscheinlich, weil ich zu misstrauisch bin.

Er sagte uns zum Beispiel, wir sollen uns im Raum umsehen  und uns drei blaue Sachen merken. Nach ca. einer Minute forderte er uns auf, die Augen zu schliessen. Da ich mir schon dachte, dass da ja noch was kommen muss, fixierte ich mich nicht auf die blauen Sachen, sondern scannte den Raum ganz allgemein.

Als alle Augen zu waren, forderte er uns auf, drei rote Sachen aus dem Raum aufzuzählen. Kein Problem! Ich hätte ohne zu zögern, drei rote Sachen aufzählen können. Tat es aber nicht.

Über die beiden Tage verteilt, sind noch andere solche Sachen passiert. Irgendwie komisch oder?

 

Es ging auch oft darum, wie man Jugendliche "trägt". Wie man sie bei Ihrem Werdegang unterstützen kann, ohne ihnen alles abzunehmen. Ich weiss, dass die Personen, die in meiner Ausbildung für mich zuständig waren, diese Ausbildung auch gemacht haben (mussten sie ja). Aber die haben ziemlich sicher gepennt. Ich musste durch so viel Scheisse und Ungerechtigkeit während meiner Ausbildung und einige dieser Sachen wurden genau so im Kurs angesprochen. Irgendwann wurden ich und meine Ausbildung ständig zum Negativbeispiel, weil der Dozent auch immer nach unseren Erfahrungen fragte.

Ich musste mit einer anderen Kursteilnehmerin ein Rollenspiel vor der Klasse vorspielen. Die Situation:
"Die Auszubildende in Ihrem Betrieb hat einen unangenehmen Körpergeruch. Es gab Beschwerden. Sprechen Sie sie darauf an."

Eine Situation, die durchaus vorkommen kann. Wir spielten die Situation vor, wurden dafür positiv wie negativ kritisiert und bewertet. Das man solche Sachen in der Theorie übt, finde ich so klasse! Es wurden ca. 10 Situationen behandelt und von jeweils einem Duo vorgespielt. Von "Lernender hat geklaut" über "der Lernende ist ein rechtsextremer, der die ausländischen Mitarbeiter beschimpft" war alles dabei. Mir kamen fast die Tränen... denn der Mann, der damals in meiner Ausbildung für uns Lernende zuständig war, zitierte meinen aus Sri Lanka stammenden Mitlernenden (der ein sehr gepflegter, immer perfekt rasierter und gut angezogener junger Mann ist) in sein Büro um ihn mit abwertenden, diskriminierenden, beinahe rassistischen Bemerkungen auf seinen Körpergeruch aufmerksam zu machen. Der Körpergeruch kam definitiv vom stark gewürzten, tamilischen Essen und nicht von einem Hygieneproblem.

 

Wie auch immer. Ich könnte Kotzen, wenn ich darüber nachdenke, dass ganz viele Jugendliche den Menschen, die sie auf ihren Weg leiten und sie dabei unterstützen sollten, nicht vertrauen können. Genau deshalb mache ich diese Ausbildung. Ich möchte, dass Menschen, die von mir ausgebildet werden, 20 Jahre nach der Ausbildung noch positiv darauf zurückschauen können. Ich möchte Werte weitergeben und eine Vertrauensperson darstellen. Ich möchte, dass auch die Eltern sagen "ou  ja, die Lehrmeisterin meines Kindes ist sehr gut. Das ist noch eine von denen, die sich wirklich für die Kinder interessiert".

 

Nicht umsonst hat Erich Kästner in einem meiner Lieblingsbücher geschrieben:

"Wie kann ein Erwachsener seine Jugend nur so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder bisweilen sein können. Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint oder weil man, später einmal, einen Freund verliert." (Erich Kästner - Das fliegende Klassenzimmer)


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